Spanische Grippe

Hatschi!

Längst nicht jeder März - oder Oktober-Schnupfen ist gleich eine Grippe. Meist bringen uns ganz harmlose Virusinfekte zum Schnäuzen. Anders sieht es bei der „echten Grippe“ aus: Die auch Influenza oder Virusgrippe genannte Krankheit kann sehr schwer verlaufen.

Unfreiheit ist gefährlich

Die Spanische Grippe, ein besonderer Strang des Virus, betraf 1918/19 die ganze Erde. Obwohl die USA früher betroffen waren, gab Spanien der Krankheit den Namen. Denn Spanien hatte zu diesem Zeitpunkt eine vergleichbar freie Presse. In den  USA wurden kriegswichtige Nachrichten zensiert. Das Verschweigen hatte in vielen Staaten Methode.

In den elf Monaten zwischen 1918 und 1919 starben wahrscheinlich mehr als 50 Millionen Menschen an dem Erreger; davon mehr als 30 Millionen in weniger als einem halben Jahr. Das ist ein Vielfaches der Opferzahlen des Ersten Weltkriegs. In dem sehr kurzen Zeitraum sind mehr Menschen der Grippe zum Opfer gefallen, als in den letzten Jahrzehnten an HIV/Aids starben. Die Besonderheit der Grippe: Weder Kleinkinder noch Greise, sondern Menschen in den besten Jahren hatten die schlechtesten Überlebenschancen. Die gesündesten und kräftigsten Menschen verfügten nicht mehr über die kindliche Immundisposition; ältere Menschen dagegen  hatten - wohl aufgrund früher Infektionen mit verwandten Erregern - eine stärkere Immunität aufgebaut.

Was erinnern wir?

Es hat lange gedauert, bis sich nicht nur die medizinische Forschung, sondern auch die Geschichtswissenschaft mit der Spanischen Grippe zu beschäftigen begann. 2011 erschien eine  der ersten Studien (Hrsg. v. D Killingray: The Spanish Influenza Pandemic of 1918-1919: New Perspectives - Routledge Studies in the Social History of Medicine; im Jubiläumsjahr 2018  erschien „1918. Die Welt im Fieber“ von Laura Spinney auf deutsch).

Die Erinnerungs- und Verdrängungsprozesse sind von der Geschichtswissenschaft noch nicht wirklich zufriedenstellen erklärt. Im von David Killingray herausgegebenen Sammelband argumentiert Terence Ranger, dass der extrem kurze Zeitraum und die Massivität des Ereignisses – in nur vier Wochen im Herbst 2018 starben die meisten Menschen – das Wachsen eines normalen Erinnerungsnarrativs verunmöglicht hätte. Darum wurde die Katastrophe schnell vergessen – auch wenn der bis heute dauernde Boom der modernen Alternativmedizin damals eine Initialzündung bekommen hat und auch wenn die medizinische Archäologie zeigt, dass viele neue Grippe-Viren – wie etwa die Schweinegrippe von vor 10 Jahren – sich aus dem damaligen Virus entwickelt hat.

Europa ist gut vorbereitet.

Aufgrund der sehr großen potentiellen Bedrohung wird die Grippe in Österreich von DINÖ, dem „Projekt Diagnostisches Influenzanetzwerk Österreich engmaschig kontrolliert. International arbeitet das FluNet der Weltgesundheitsorganisation an ähnlichen Aufgaben.

Charakteristisch für Österreich als einem Land auf der Nordhalbkugel unserer Erde sind die jährlichen Infektionswellen im Frühjahr und im Herbst. In Ländern des Südens mit anderen klimatischen Bedingungen kommt es zu einem anderen Verlauf, meist zu zwei dicht aufeinanderfolgenden Wellen während der Regenzeit.

Die Weltgesundheitsorganisation hat eine Reihe von Szenarien entwickelt, wie die Menschheit auf einen den ganzen Globus betreffenden plötzlichen Krankheitsausbruch und die verschiedenen Pandemie-Phasen reagieren kann.

Wir sollten vorbereitet bleiben.

In Österreich funktionieren die dafür notwendigen Kontroll- und Frühwarnsysteme gut. Österreich profitiert dabei vom europäischen Einigungsprozess der letzten Jahrzehnte – von der immer engmaschigeren politischen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit über Grenzen hinweg.

Diese Zusammenarbeit ist wichtig, weil Grippeerreger ohne Pass reisen. Grippeerreger lassen sich nicht an Grenzen zurückweisen. Grippeerreger lassen sich auch nicht einsperren. Es ist populistisches Wunschdenken, Viren zusammen mit Migrantinnen und Migranten aus unserer Wohlstandsrepublik aussperren zu können. Denn Grippeviren reisen nicht nachts und per LKW über den Brenner. Die Pandemien der Zukunft werden Österreich zu den regulären Bürozeiten und über die Flughäfen Wien, München oder Zürich erreichen.

Solidarität

Gegen die echte Grippe gibt es deshalb nur einen wirklichen Schutz. Das ist die internationale Solidarität der Staatengemeinschaft und das Zusammengehörigkeitsgefühl aller Menschen. Dazu gehören die grenzüberschreitende Förderung einer freien Forschung und auch die Freiheit des Wortes. Denn wenn Probleme nicht angesprochen werden können, werden sie auch nicht gelöst.

Egon Schiele

Der expressionistische Maler Egon Schiele (* 12.06.1890 – 31.10.2018) war ein Todesopfer der Pandemie. Drei Tage vorher war seine im sechsten Monat schwangere Frau gestorben, ebenfalls an der Spanischen Grippe. 50 Million Menschen, die vor 100 Jahren gestorben sind: Das ist für uns Heutige kaum vorstellbar.  Der 100. Todestag Egon Schieles ist damit eine dringende Mahnung, das Menschsein zu achten und das globale Gesundheitssysteme zu stärken.

Die Stärkung von Gesundheitssystem weltweit liegt im Interesse aller Menschen.

 

Egon Schiele treffen

Weiterführendes

  • Hörempfehlung
  • Lesetipp: Marc Honigsbaum “The Pandemic Century. One Hundred Years of Panic, Hysteria, and Hubris” (April, 2019)

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